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Montag, 28. September 2015

Das Licht der letzten Tage








Das Licht der letzten Tage, Emily St. John Mandel
(Piper, 2015)



Kurzinhalt:
 Bei einer König Lear Aufführung erliegt der Schauspieler Arthur Leander einem Herzinfarkt.
Nur ein paar Wochen darauf teilen Milliarden anderer sein Schicksal, als eine bis dahin von den zuständigen Behörden heruntergespielte Krankheit sich zur rasant ausbreitenden, weltweiten Pandemie auswächst. Die nach dem Ort ihres ersten Auftretens benannte Georgische Grippe tötet ihre Opfer bereits binnen weniger Stunden nach Infektion und führt zum Ende der Welt wie wir sie kennen.

 Zwanzig Jahre danach durchquert die Schauspielerin Kirsten Raymonde mit einer gemischten Truppe aus Schauspielern und Musikern ein entvölkertes Amerika. Die reisende Symphonie, wie sie sich nennen, folgt dem Motto "Denn Überleben ist unzureichend" und müht sich mit Shakespeare Aufführungen und Konzerten ein Stück Zivilisation zu erhalten, in einer Welt in der Gewalt und der tägliche Kampf ums Überleben an der Tagesordnung stehen.
Auf ihrer Tour queren sie durch immer dieselben, sich ständig jedoch ständig wandelnden Orte, an einem von diesen ließen sie einst zwei ihrer Kameraden zurück, die schwangere Freundin Kirstens, Charlie, und deren Ehemann, Jeremy.
Bei ihrer Rückkehr, ist ein neuer Mann im Ort am Ruder, der sich selbst der Prophet nennt, und keiner kann oder will sich mehr an die beiden Mitglieder aus der Symphonie erinnern.



 Im folgenden erzählt die Autorin ihre Geschichte in sich abwechselnden Vor- und Rückblenden, getragen von unterschiedlichen Charakteren, wobei Arthur den Fokus der Vergangenheit bildet, über Jeevan Chaudhary, einen ehemaligen Papparazzo der versucht Arthur das Leben zu retten als dieser auf der Bühne zusammen bricht, erleben wir die Zeit während und kurz nach dem Zusammenbruch und Kirsten, welche als achtjährige mit Arthur Leander auf der Bühne stand als dessen letzter Vorhang fiel, bildet schließlich den fokalen Punkt des Danach.

 Man sieht schon, die ganze Geschichte dreht und angelt am Ende um die Gestalt des Arthur Leander. Diese Tatsache, dass das Davor zumindest gefühlt den größten Raum im Buch einnimmt, hat mir persönlich das Lesevergnügen leider eher vergällt. Natürlich habe ich mir dabei ein ganzes Stück weit selbst ein Bein gestellt, als ich auf das sehr atmosphärisch wirkende Cover und die brillante, spannungsweckende Leseprobe hin mich Mental auf einen Endzeitroman eingestellt hatte:
 In der Lobby sammelten sich die Leute an der Bar und stießen an. "Auf Arthur", sagten sie. Sie tranken noch eine Weile, dann gingen sie alle ihrer Wege, hinaus in den Sturm.
Von allen Personen, die in dieser Nacht in der Bar gewesen waren, war der Barkeeper derjenige, der noch am längsten leben sollte. Er starb drei Wochen später auf der Straße, über die er die Stadt verlassen wollte.
 Emily St. John Mandel ist aber beileibe keine Schlechte Autorin, sie Zeichnet ihre Figuren mit feinem Gespür für Zwischentöne und einer Sprachfertigkeit, welche einen auch über die langatmigeren Passagen hinweg am Lesen hält. Emily St. Johns literarisches Prä- wie Postapokalyptisches Amerika ist dabei allerdings ein Dorf, sie webt ein komplexes, nicht immer bedeutungsvolles Netz zwischen den einzelnen Handlungsträgern, die dadurch auf unterschiedlichste Weise über den toten Arthur, zwischen den einzelnen Erzählebenen miteinander Verbunden sind. Auch wenn einem die einzelnen Zeitebenen zunächst wie unabhängig nebeneinanderher laufende Geschichten scheinen.

 Aufgelockert wird der Text mit kurzen wie längeren Einschüben, die sich einem fiktionalen SF Comic Strip widmen, dem Titelgebenden Dr. Eleven: Das Licht der letzten Tage, einer unautorisierten Biographie Arthur Leanders, und solchen wie dem amüsant nachdenklichen Kapitel 6, mit dem der erste Teil des Buches abschließt:
Eine unvollständige Liste:
  Es war vorbei mit dem Eintauchen im Schwimmbecken mit Chlorwasser, das von unten grün beleuchtet wurde. Es war vorbei mit Ballspielen unter Flutlicht. Es war vorbei mit Zügen, die unter Städten verkehrten, betrieben mit dem Strom aus der Stromschiene. Es war vorbei mit Städten.
 ...
St. John Mandel schreibt, das muss man ihr anerkennen, sehr atmosphärisch.

 Persönlich denke ich, dass das Buch mit einer klareren Trennung der Zeitebenen für mich besser funktioniert hätte, da die Beziehung dieser Ebenen untereinander sich zum Ende als äußerst Trivial erweist und die Aufteilung der einzelnen Geschichten weder diesen noch dem Buch als Ganzes einen Mehrwert verleiht. Wobei es womöglich in der Absicht der Autorin liegt, das wir versuchen sollen bedeutungsvolleres zu sehen, in etwas dass am Ende sich nur als eine Abfolge von Zufälligkeiten erweist. Reflektiert doch so unsere Erwartung an die Erzählstruktur, die Empfänglichkeit der Überlebenden für übernatürliche und religiöse Erklärungsversuche.


Fazit:
 Erwartet habe ich beim Einstieg in das Buch einen Roman der sich mehr in der Tradition von Die Stadt, nicht lange danach, Pat Murphy, oder von Gabrielle Lords Salz, bewegt. Bekommen habe ich durchaus in Teilen eine realistisch anmutende Endzeitgeschichte im Spannungsfeld zwischen den vorgenannten, ohne Murphys New-Age Mystizismus und weniger martialisch als Gabrielle Lords Weltuntergangsvision, aber einfach zuwenig davon für meinen Geschmack. Viel mehr ist es so das St. John Mandel einen, beabsichtigt oder nicht, ironisch wirkenden Blick auf unser tägliches Streben nach einem Stück Unsterblichkeit, auf unsere Zivilisationsgläubigkeit wirft, und die Konstrukte an die wir uns dabei zu halten suchen als fragile Selbsttäuschungen entlarvt.
Und doch ist dem Ganzen gerade zum Ende hin eine zutiefst menschliche Botschaft unterlegt, eine Aufforderung unsere Bestrebungen, so schnell vergänglich ihr Wert auch sein mag, nicht aufzugeben, denn Überleben ist unzureichend.

 Nicht der Roman den ich mir Erwartet habe, und kein Werk das mich in erhoffter Weise unterhalten hätte, aber rückblickend ein verdienter Arthur C. Clarke Award Preisträger.



Zum Abschluss noch ein paar Worte einer aufmerksameren Leserin.
GoodReads Userin Paige war so freundlich mir zu erlauben eine Übersetzung ihrer Funde bezüglich Das Licht der letzten Tage für meinen blogeintrag zu verwenden.
Diese möchte ich an dieser Stelle wiedergeben weil sie meiner Meinung nach dem Roman eine weitere Ebene verleihen, welche mir selbst beim Lesen leider entgangen ist, die diesen aber bereichert:

* Achtung der folgende Text enthält Spoiler *

 Ich liebe es Hinweise auf Intertextualität in der Kunst zu finden, und ich habe das Gefühl das Das Licht der letzten Tage voll ist mit Anspielungen an andere Romane, Fernsehserien, Filme, usw.

Ein paar der offensichtlichen Beispiele sind die Zeile aus Star Trek, "Denn überleben ist unzureichend" welche die reisende Symphonie auf die Seite ihres Wagens gepinselt hat und auf Kirstens Arm eintätowiert ist. Ebenso die explizite Diskussion des Justin Cronin Romans Der Übergang, welcher einer der Charaktere gelesen hat. Beide werden von der Autorin in den Anmerkungen erwähnt.

Ein paar weitere die mir aufgefallen sind:

Arthurs Nachname ist Leander, welches der Name des männlichen Freiers aus dem Griechischen Mythos Hero und Leander ist. Hero, eine Priesterin der Aphrodite, lebt in einem Turm an der See; Leander, in Liebe mit ihr, schwimmt zu ihr in jeder Nacht. Hero entzündet jede Nacht ihre Lampe um ihn zu führen, doch ein Sturm löscht das Licht eines Nachts und Leander ertrinkt. Als sie am nächsten Morgen den Körper ihres toten Liebhabers erblickt, wirft sich Hero vom Turm und stürzt in den Tod. Shakespeare nahm Bezug auf diesen Mythos in mehreren seiner Stücke.

Dann ist da Miranda, Arthurs erste Frau, welche ihren Namen mit einer der Hauptcharaktere aus Shakespeares Der Sturm teilt: eine von drei Frauen welche im Stück erwähnt werden, eine von Arthurs drei Frauen in Das Licht der letzten Tage.
In beiden oberen Geschichten spielt die See eine tragende drohende Rolle, so wie Untersee in Mirandas Comic.

Mir viel außerdem eine Respektsbezeugung an Leonard Cohen auf, im Beginn zu einem der Briefe an V. Ich finde den Eintrag jetzt nicht (Erster Brief, S. 187 - Anm. d. Ü.) aber die Eröffnungszeile lautet "Liebe V. es ist kalt in Toronto, aber ich wohne gerne hier," welches, wenn man Toronto mit New York austauscht, eine Zeile aus Leonard Cohens bekanntem Famous Blue Raincoat ist. Dies könnte einfach eine spielerische Verneigung vor St. John Mandels Kanadischem Erbe sein, ihr erster Roman war in Montreal der Heimatstadt Cohens angesiedelt. 

Ein letztes noch, dies ist nicht so sehr intertextlich als ein interessantes Schmankerl:
Jeevan, ein populärer indianischer Name, übersetzt sich als "Lebensbringer"-ironisch, angesichts dessen dass er Arthur auf der Bühne nicht am Leben erhalten kann, aber treffend in dem, dass er zum Ende hin Verheiratet ist und Kinder hat in einer Stadt die einen Weg gefunden hat wieder Elektrizität zu erzeugen, zwanzig Jahre nach der Epidemie.

Wie auch immer, ich bin mir sicher da sind noch mehr Verweise welche mir nicht aufgefallen sind, oder die mir nicht hätten auffallen können, sollte es also weitere geben welche ihnen aufgefallen sind während des Lesens von Das Licht der letzten Tage, ich würde gerne davon hören.
Original Text.



Nach einigem überlegen habe ich beschloßen meinen Post um dieses Zitat von Andrew M. Butler, Repräsentant der Preisrichter für den Arthur C. Clarke Award, zu erweitern, da es meines Erachtens besser geeignet ist eine realistische Erwartung an das Buch zu wecken als das vom Verlag angefügte G.R.R. Martin Zitat:

 Während manche post-apokalypse Romane auf das Überleben der Menschheit fokussiert sind, fokussiert sich Das Licht der letzten Tage stattdessen auf das Überleben unserer Kultur, wobei der Roman zum Klageleid auf die hyperglobalisierte Gegenwart wird.
Original Text.



Die üblichen Verdächtigen (und eine unübliche):
 Dank and das Lovelybooks Team für die Leserunde.
 Dank an den Piper Verlag  für das Buch.
 Dank an Paige für die Erlaubnis eine Übersetzung ihres Textes zu verwenden.

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